Ich trage ein schwarzes Kleid. Bist du in Trauer? Ja. Eine Illusion ist gestorben.

Biografie

Katrin RichterLange hat es gedauert, bis ich mein Leben so annehmen konnte, wie es war, wie es ist. Zu lange war ich geneigt, Teile davon zu verwerfen, abzutrennen, abzulehnen als vermeintliche Irr- oder Umwege. Inzwischen weiß ich: Das stimmt so nicht. Alles hat höchstwahrscheinlich genau so sein müssen, wie es war, damit ich heute die bin, die ich bin. Geworden bin. Schon immer war.
Wie auch immer.
Da stürzte sich ein Mensch in die Welt, im Januar 1961 in Thüringen. „Manche Kinder kommen, um zu helfen“, sagte mir viele Jahre später eine Hebamme. Das sprach mich an, denn es gab viel zu tun um mich her.
Zunächst versuchte ich es damit, Anforderungen zu erfüllen, brav zu sein. Aber schon mit elf Jahren wurde ich auffällig in der Schule, brach in Form von nicht mehr versiegen wollenden Tränenströmen etwas aus mir hervor, das keiner erklären konnte, ich selbst am allerwenigsten. In einem meiner Bücher habe ich später davon erzählt. Trotz dieser frühen Rebellion meiner Seele brachte ich eine Art Karriereweg zu Ende, mit Abitur, Studium der Journalistik und den einzigen fünf fest angestellten Jahren meines ganzen Lebens; als Redakteurin bei Jugendsendern – vor allem DT 64 – im Rundfunk der DDR.
Als die Berliner Mauer fiel, endete für mich auch dieser Versuch, mich – an was auch immer – anzupassen. Ich war 28 Jahre alt, Mutter von zwei Kinderchen, zerrissen zwischen Liebe und Angst und im Begriff, den Boden unter meinen Füßen zu verlieren, ganz so, als würde ich in einer Wüste unaufhaltsam im Treibsand versinken. So machte ich erstmalig die Erfahrung, dass etwas trägt in dem Moment, in dem man eigentlich glaubt, alles, einschließlich sich selbst, vollkommen zu verlieren. Eine Erfahrung, die ich danach noch einige andere Male machen würde, aber nie mehr so tief greifend wie bei diesem aller ersten Verlust. Ich fühlte mich später auch nie wieder so allein damit.
Seit 1993 bin ich Freiberuflerin und werde es – soweit ich das erkennen kann – auch bis zum Ende bleiben. Den Journalismus ließ ich nach und nach los. Es sind aber auch viele Jahre lang noch schöne Radio- und Fernsehsendungen durch mich entstanden, die ich nicht missen möchte.
Was gibt es sonst über mich zu sagen, in knapper Form?
Der Mann meines Herzens hat lange Arme, sie passen extra einmal um mich herum.
Die Spazierwege in meiner Heimatstadt Berlin tragen schon tiefe Rinnen, nur von meinen wandernden Füßen.
Die Kinderchen von damals sind erwachsen geworden, ich finde sie innerlich und äußerlich sehr, sehr schön.
Wenn ich heute fallen sollte, dann ganz bestimmt nicht mehr so tief.
Der Tintenfüllhalter einer soliden Marke liegt gut und leicht in meiner Rechten.
Eine kleine Statistik: Ich lebe nun dreißig Jahre in Berlin, arbeite zur Zeit handschriftlich an meinem vierundvierzigsten Tagebuch, und vor zwei Monaten erschien mein neunzehntes käufliches Buch. Ich liebe es, Schriftstellerin zu sein und meine Leser in meinen Werken an meiner eigenen Entwicklung teilhaben zu lassen. Ein Weg, der nie zu enden braucht. Wenn die unsichtbaren Mächte einverstanden sind, werde ich ihn weiter gehen, so lange das eben möglich ist – von mir aus auch darüber hinaus. Ich habe ja keine Ahnung.
Ich weiß nur das Eine: Nichts auf Erden erfüllt mich so wie das Schreiben, das Kreativsein, mein Dienst an der Literatur, mein persönliches Beispiel der Liebe. Und sollte es tatsächlich so sein, dass ich gekommen bin, um zu helfen, um etwas beizutragen, dann nehme ich an, es könnte genau das sein. Sie können es ja beobachten.