Ich muss nicht mehr alles glauben, was ich denke. Endlich.

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Riesenrad

16.01.2021, 14:42 Uhr

Jetzt bauen sie im Plänterwald das große Riesenrad ab und seine Gondeln, rot, gelb, blau, grün, stehen fein säuberlich in Reih und Glied am Boden. Entzaubert. Ernüchternd. Nur noch bunt angestrichenes Metall. Bald geht es wohl auch dem rund aufragenden Gerüst an den Kragen. Ich staune, wie schnell das funktioniert. Schrauben drehen, die doch Jahrzehnte hielten, Gestänge abmontieren; und schon ist alles in seine Einzelteile zerlegt. Vierzig Gondeln, Symbol damals für vierzig Jahre DDR. Berühmtester Kulturpark. Ja, ja.

Sie sagen, sie werden das Wahrzeichen wieder aufbauen, jenes Riesenrad, das man schon auf Bahnhöfen bei Ankunft in der Hauptstadt sehen kann. Konnte. Aber sie haben schon so viel gesagt. Mag ja sein, dass das an mir liegt, aber ein nörgelnder Fatalist in meinem System sagt: Weg ist weg. Abgebaut ist rascher als wieder aufgebaut. Dieser Teil von mir zweifelt. Immer!

Nun ist also auch meine Geschichte aus „Stadtstreicherin 1“ Historie. „Magischer Spaziergang“, heißt der Text; und in seinem Untertitel: „Saurier, Schwäne und ein stilles Riesenrad“. Bei Lesungen habe ich mein Publikum damit oft das Gruseln gelehrt, weil ich mir vorstellte – und dies auch mit düsterer Stimme zu Gehör brachte, na aber sicher doch! -, dass ganz oben in der allerhöchsten Gondel jemand vergessen worden sein könnte, seit der Rummelplatz nicht mehr betrieben wurde. Wie er jetzt wohl aussehen mag? Er oder „Es“ muss sich verändert haben, sonst könnte er nicht überdauert haben. Und ich „sah“ ein Unaussprechliches dort heraus schauen, ach! Meine Phantasie!! Und nun liegt alles offen im Licht des Wintertages. Kein Mutant, kein Gespenst. Von schaurigen Gestalten keine Spur.

Ein Zeichen der Vergänglichkeit. In meinem Alter muss man damit klarkommen, sie mehren sich, diese Zeichen. Und niemand, nichts kann ein Verlorenes wieder zurück holen; geb´s Gott, dass mir wenigstens mein Gedächtnis lang erhalten bleibt. Wobei - war es nicht Hildegard Knef, die gesagt haben soll, Glück, das ist unter anderem ein schlechtes Gedächtnis? Andererseits, ich kenne einen klugen Mann, der immer wieder betonte, "lass uns schöne Erinnerungen erschaffen". Und nun, in lockdown-Zeiten zehren wir auch davon: Von all diesen Momenten, Essengehen in Restaurants, Familienfesten unter Bäumen, Saunagängen in Hotels ... Kulturparkvergnügen, ja, auch die. Ich träume sogar davon. Die Bilder sind in mir. 

Währenddessen findet mein Leben statt. Gerade komme ich von einem Spaziergang an der Spree zurück, aus der Küche duftet es nach Blumenkohl und Pellkartoffeln. Das Vergangene hat mich geformt, die Zukunft kennt kein Mensch. Wohl dem, der im Heute leben kann oder sich wenigstens darauf besinnt, dass das der Stein der Weisen ist. So denn - ich übe.

 

 

Kein Sommerloch!

20.07.2020, 11:41 Uhr

Mir fällt auf: Es gibt dank Corona kein mediales Sommerloch in diesem Jahr. Irgendwas ist immer; eine Nachricht ist es immer wert, das Virus und seine ansteckende Verbreitung oder auch nicht Verbreitung. Wir drehen uns um Krankheit und Gesundheit. Was ja nicht schlecht sein muss. Nein, überhaupt nicht. Und auch wieder - doch. Ach! 

Wir gehen in irgend ein Unbekanntes. Der Zustand ist mir vertraut. Aber so - in dieser Ausformung - habe ich ihn auch noch nicht erlebt. Ein Virus geht um die Welt und verändert alles. Manchmal stelle ich mir vor, ich hätte im Koma gelegen für - sagen wir - ein Jahr und würde jetzt aufwachen. Ungläubiges Staunen, wenn ich nur die "Tagesschau" ansähe und die üblich eingeblendeten Politikerkonterfeis - alle maskiert! Was soll denn das, würde ich denken. Hat sich da jemand einen schrägen Scherz erlaubt? Demonstrationen, bei denen der Mund-Nasen-Schutz polizeilich kontrolliert wird -, und galt nicht eben noch genau das Gegenteil: Vermummungsverbot?!!

Ich würde mich nicht mehr auskennen, wachte ich aus einem phantasierten Koma auf. Ich kenne mich auch so kaum noch aus; ich lebe im Jetzt, im Heute und danke jeden Tag für das, was da ist. Meine Gesundheit, die Nachbarn, die Familie; dass immer neue Babies eintreffen, ja! Letzteres freut mich vor allem. Wo Kinder spielen, kann es um die Welt noch nicht so schlimm bestellt sein; auch, wenn sich das vielleicht naiv anhören mag. Ich erfuhr einst von einer jungen Ärztin, die mit hoch schwangerem Bauch auf einer Palliativstation arbeitete, dass allein ihr Anblick viele dort Liegende tröstete. Das Leben geht weiter. War wichtig zu sehen. Zauberte ein Lächeln auf scheidende Menschengesichter.

Schwangerschaft auf einer Palliativstation. Kann man das auch von unserer Zeit so sagen? Etwas Altes stirbt. Etwas wird ganz neu geboren? ... Möglich wäre es; es liegt an uns, was daraus wird. Nein, ich will euch nicht agitieren; das ist meine Sache nicht. Ich blättere in meinen eigenen Büchern und schließe für heute mit einem Ulk-Gedicht aus meiner "Briefschreiberin", dem dritten und letzten Teil meiner "Stadtstreicherinnen"-Trilogie:

"Verkrumpelter Tag

Dieser Tag besteht aus lauter Flusen / sie wollen sich nicht zusammen schmusen.

Sie flocken und trödeln und plempern dahin / Es ist weder Halt noch Struktur darin.

Ein Fetzchen hier, ein Federchen dort / und zusammengeflickt gehen die Stunden fort.

In Daueraktion und doch nichts geschafft / nur Klümpchen und Knötchen herbei gerafft.

wie in meinem altgeliebten Daunenkopfkissen / schon bröckelnd, lang bevor noch zerschlissen

von nächtlichen Gewissensbissen und grüblerischen Seelenrissen.

Es geht nichts glatt und nichts bergauf / Und doch: Ich stand am Morgen auf

Jonglierte mit Stückwerk, ich kühne Puppe; wie das Zimtorchen mit Krümpelsuppe."

PS: Das war 2008! Und ich bin immer noch hier. Erscheint mir bemerkenswert. Übrigens: Wer das Zimtorchen ist und was genau Krümpelsuppe, das erläutere ich in meinem oben genannten Buch. Oh ja, als "Solokünstlerin" darf ich durchaus für mich und mein Werk ein bisschen Reklame machen!

 

 

Wieder zurück und nie wirklich weg gewesen

19.05.2020, 17:08 Uhr

Da sitzt er wieder. Der lesende Mann, auf der Terrasse von jenem Café, über dem ich wohne. So ein vertrautes Bild. Als wäre nichts gewesen. Er sitzt da, wie er immer dort saß, ein Büchlein in der Hand, einen Kaffee vor sich, einen freundlichen Gruß auf dem Gesicht. Fragend schauen wir einander an: "Gesund geblieben?" "Ja. Sie auch?" Und tatsächlich; wir sind gesund geblieben durch diese vergangenen zwei Monate hindurch, und jetzt füllen wir wieder das Bild. Etwas weiter voneinander entfernt stehen die Stühle, die fragilen Tischchen zwei Meter auseinander auf der Café-Terrasse. Die Mitarbeiter und Serviererinnen bedienen mit Masken. Das ist, wie wir wissen, die Bedingung dafür, dass sie öffnen dürfen. Es spaltet die Gesellschaft. Alles fake, finden die einen. Vorsicht ist immer noch geboten, die anderen. Was soll ich dazu sagen? Das mit dem Großen Nichtwissen, was ich schon vor zwei Monaten an dieser Stelle schrieb, das gilt noch immer. Und sich respektvoll, rücksichtsvoll zu verhalten, ist immerhin ein größerer gemeinsamer Nenner als alles Zartgefühl gleich wieder über Bord zu werfen. Ich glaube nicht daran, also rücke ich auch dir wieder auf die Pelle. Niese dich an. Nein, fühle ich; das kann so nicht der richtige Weg sein. Was mich angeht, so habe ich seltsame Beobachtungen an mir gemacht; die sind mir wirklich neu: Ich verschleiere mich ganz gern mittels Mundschutz in Bus oder Bahn; das Stückchen Baumwolle schenkt mir eine kleine Abgrenzung, die mir gefällt. Ich wundere mich selbst. Genauso gern nehme ich die Maske allerdings auch wieder ab, wenn ich "Wald bade" und meine Lungen mit frischer Maienluft fülle, ahhhh!!! Einatmen, ausatmen, lächeln. Die kürzeste Meditation. Und wirksam noch dazu! Aber etwas Abstand ist mir nicht unangenehm. Den könnten wir aus meiner Sicht ruhig beibehalten. Allerdings schwer durchzusetzen in meiner vollen Stadt. Schon eine Straße weiter laufe ich Slalom durch die Leute. Und wohne weiß Gott nicht am Kurfürstendamm, sondern in einem kleinen, eher dörflichen südöstlichen Kiez.

Ich bin durch verschiedene Gemütslagen gegangen während dieser acht, neun Wochen; ich habe sie alle aufgeschrieben und keine vergessen. Verglichen habe ich Corona mit der DDR-Wendezeit - und meinte die Emotionen; nicht die Ebenen. Das eine - politisch. Das andere - eine Krankheit. Na, weiß ich doch, Und dennoch kamen Dinge hoch. Es ist, wie es ist. Mein Tagebuch platzt aus allen Nähten davon. "Nun sollen wir wieder Masken tragen", schrieb ich zu Beginn meiner ängstlichen Betrachtung. "Jetzt fallen Masken", sage ich heute. Es hängt nicht davon ab, ob wir uns das Gesicht verdecken. 

Ich sollte eigentlich auf Kreta sein. Bin aber in Berlin. Meine Sauna hat immer noch nicht offen. Aber ich war jeden Tag draußen. Meine Übungen konnte ich auch zu Hause tun. Wir sind ziemlich kreativ gewesen, meine Freunde und ich; haben Wege gefunden, auf denen wir uns unter Einhaltung der Maßnahmen sehen, miteinander sprechen konnten. Es war wirklich nicht die schlechteste Zeit in meinem Leben - sage ich rückblickend! Zwischendurch hatte ich manchmal ganz schön Angst. Und diese Ahnungslosigkeit. Bei gleichzeitiger Bombardierung mit news. Lieber weniger fernsehen. Das half. Ein bißchen. Ich rede in der Vergangenheit, als wüßte ich nicht, dass da noch ein dickes Ende kommen könnte. Das kann es aber auch bei anderen Katastrophen; ich will sie hier nicht alle aufzählen. Es fällt ja nicht schwer, welche zu finden. "Mein Leben war voller schrecklicher Unglücke, von denen die meisten nie eingetreten sind", soll der französische Philosoph und Essayist Michel de Montaigne gesagt haben. Ja. Meines auch. Das wird aber die nicht trösten, für die dennoch Unglück geschehen ist während dieser vom Virus dominierten Zeit. 

Hey, ich darf mein Enkelchen wieder sehen, das mit mir in einer Stadt lebt! (Die anderen beiden sicherlich auch bald mal wieder.) Wenn ich meckern würde, dann wirklich auf hohem Niveau. Also meckere ich nicht. Hurra, wir leben noch. Fortsetzung folgt.